Zeichen von Herbst
Zeichen von Herbst ist der 2020 erschienene Debütroman des deutschen Schriftstellers, Musikers und Spieleentwicklers Patrick Wunsch. Er handelt von einer Gruppe von Künstlern und Kunstinteressierten, die sich halb geplant, halb zufällig im elysischen Palais wiederfinden, um ein Leben in Ausschweifungen und Inspiration zu führen. Schon bald aber – nicht zuletzt durch einen unerwarteten Zwischenfall – geraten sie ins Grübeln, ob nicht auch Schatten ins Leben, insbesondere das Künstlerleben gehört.
Handlung
September. Die siebzehnjährige Gymnasiastin Aske genießt den Morgen mit einem Bier im Stadtpark, die beste Freundin Kaori veranstaltet eine Party in ihrer von Papa finanzierten Wohnung und eine Band gibt ein Konzert. Die konventionellen Versuche, das Potenzial des Lebens auszuschöpfen, reichen nicht aus: Die Gymnasiastin sehnt sich nach Abenteuer, die beste Freundin nach der Integration von Hedonismus und Tugend und die Mitglieder der Band nach mehr Inspiration, mehr Ruhm und kreativem Einfluss, mehr freundschaftlicher Loyalität. Die Figuren, insbesondere die Künstler, entbehren nicht einer gewissen liebenswürdigen Exzentrik, befinden sich bereits außerhalb des Durchschnittslebens, doch trotzdem – oder gerade deshalb? – verzehrt es sie nach mehr als dem morgendlichen Bier auf der bachumflossenen Insel im Park, Videospielen, Partys und One-Night-Stands, der Intensität eines gelungenen Postrock-Konzerts, der seltenen Ahnung von Alltagsmagie.
Glücklicherweise befindet sich eine vielversprechende Alternative in Reichweite: das Palais, ein Ort von Übermaß und Sorglosigkeit, geschaffen von einem reichen jungen Mann, den man den Maestro nennt.
Aske, Kaori, Askes jüngere Schwester Emilia und die Band genießen eine Zeit lang die Annehmlichkeiten. Letztendlich überzeugt die Alternative nicht: Dem Leben im Palais fehlt es an Bedeutung. Iris, die Schwester des Maestros, bringt es auf den Punkt: "Es gibt immer ein Zuwenig und ein Zuviel, dazwischen gibt es nichts; das innige Leben ist ein Schwanken und Wogen." Ehe aber die Zeichen von Herbst die Seelen ganz und gar durchdrungen haben und man sich veranlasst gesehen hätte, Konsequenzen zu ziehen, führt ein Zwischenfall zum Abbruch des Projekts.
Im Nachklang der Ereignisse trennen sich die Wege. Während Kaori im Palais bleibt, der Chance nachtrauernd, sich in der Parallelwelt als anderer Mensch zu versuchen, kehren die Übrigen – mehr oder weniger – ins frühere Leben zurück. Was bleibt, sind die Erkenntnis, dass Iris im Recht gewesen war, und die Frage, wie es weitergehen, worin vielleicht nicht das perfekte, doch das schön menschliche Leben bestehen soll.
Figuren
Richard von Hardenberg
Schöngeistiger Konstrukteur des Palais. Wo man zunächst Machtgier unterstellen könnte, ist es der Wunsch nach Vergebung, der ihn zu diesem Projekt antreibt. Erkennt im Nachhinein, dass ein Leben, wie es das Palais ermöglicht, der größte Irrtum ist.
Miroir
Komponist und Gitarrist der Band Lielle. Steht aufgrund einer tragischen Vorgeschichte, die ihn mit Richard verbindet, im Zentrum des Projekts. Erlebt das Palais, anders als erhofft, keineswegs als Ort künstlerischer Inspiration.
Aske Leonora Morgenroth
Gymnasiastin und Kunst-, vor allem Musikinteressierte. Wurde von Richards Webcrawler als Miroirs Seelenverwandte und (nahezu) perfekte Ergänzung des Palaiskreises ermittelt. Entschließt sich nach ihrer Einweihung, das bisherige Leben aufzugeben und das Wagnis des vermeintlich ultimativen Abenteuers einzugehen.
Fleur Sauvage
Miroirs Verlobte, Malerin und Keyboarderin von Lielle. Ihre Bewunderung für das Projekt trägt ihr vorübergehend die Verantwortung als Richards Stellvertreterin ein. Die Unvereinbarkeit dieser Position mit ihrem Streben nach künstlerischem Ruhm offenbart sich ihr spät – wie auch die Erkenntnis, was ihr im Leben eigentlich das Wichtigste ist.
Niéve Ventada
Miroirs und Fleurs beste Freundin, Kellnerin in deren Stammkneipe und Bassistin von Lielle. Wünscht sich nichts mehr als die Loyalität ihrer Freunde, die ausgerechnet im entscheidenden Moment zu wünschen übrig lässt.
Edgar von Hardenberg
Richards Bruder und zweiter Gitarrist von Lielle. Hält sich mit dem Trinken ebenso wenig zurück wie mit Provokationen in Bezug auf Kunst und Politik. Hegt einigen Groll, nachdem er von Richard, dem allseits beliebten Maestro, aus dem Palais verbannt wurde.
Emilia Morgenroth
Askes jüngere, ungewöhnlich kluge Schwester. Gelangt mit dem betrunkenen Edgar ins Palais und sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob nicht der libertinen Sexualität, wie sie das Leben im Künstlerkreis fast zwangsläufig mit sich bringt, eine konventionelle Beziehung vorausgehen sollte.
Kaori Aonuma
Askes beste Freundin. Will, vom dramatischen Ende einer Party ins Grübeln gebracht, das hedonistische Leben hinter sich lassen. Gerade als sie sich in der Familiarität des Palais neu zu finden glaubt, wird ihr die Plattform wieder entrissen.
Iris von Hardenberg
Richards und Edgars Schwester. Stattet aus Neugier dem Palais einen Besuch ab und integriert sich mühelos, sät jedoch erste Zweifel mit ihren relativierenden Worten über den Sinn des Projekts.
Thema und Stil
Zeichen von Herbst handelt von der Vergänglichkeit des Schönen und der Schönheit der Vergänglichkeit. Der Herbst zeigt sich einerseits als betrübliches Ende des Sommers, andererseits als dessen farbenfroher Ausklang. In jedem Ende liegt ein Neuanfang.
Die dualistische Idee spiegelt sich in Struktur und Stil des Romans wider. Nichts ist schwarz oder weiß. Weder ist der erste Akt, das gewöhnliche Leben, völlig durchdrungen von Tristesse, noch das Leben im Palais von Glückseligkeit. Im Sprachstil ist das Thema – die komplementäre Natur von Gegensätzen – im Zusammenwirken von poetischer Umschreibung und zynischer Pointierung umgesetzt.
Als Lehre beinhaltet der Roman, dass Genügsamkeit und Individualismus ein erfülltes Leben bedeuten, nicht die Isolation unter vermeintlichen Idealbedingungen. Man gibt dem natürlichen Lebensraum der Zivilisation – natürlicher kann der moderne Mensch, realistisch betrachtet, kaum leben – den Vorzug gegenüber dem künstlichen Lebensraum des Palais. Dass durch einen äußeren Impuls der Sinneswandel ausgelöst werden muss, offenbart das träge Wesen des Menschen, insbesondere des Künstlers, der das Unglück lieber hinnimmt, sich darin heldenhaft und inspiriert wähnt, als sich lösungsorientiert damit auseinanderzusetzen.
Entstehung
Nachdem der Autor als kreativer und literarisch nicht uninteressierter Mensch nach eigenen Angaben »ewig« mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Roman zu schreiben, fasste er im Herbst 2016 den Entschluss, das Projekt ernsthaft anzugehen und seine Freundin – angehende Literaturwissenschaftlerin und begeisterte Leserin –, mit einem hübsch aufgemachten Buch zu überraschen. Genau ein Jahr später war es so weit.
Noch einige Male überarbeitet, wurde Zeichen von Herbst in Eigenregie als Taschenbuch, gebundene Ausgabe und E-Book veröffentlicht. Der Nachfolger Gegenlicht erschien drei Monate später am 21. April 2020 und stellt, so der Autor, "Irgendwie-Zwillingswerk" dar.
Textausgaben
- Zeichen von Herbst, Patrick Wunsch, 412 Seiten, tredition, Taschenbuch, ISBN 978-3749793808
- Zeichen von Herbst, Patrick Wunsch, 412 Seiten, tredition, Gebundenes Buch, ISBN 978-3749793815