Komposition (Musik)
Unter Komposition (von lateinisch „componere“, „zusammenstellen“, „zusammenfügen“, „zusammensetzen“) (veraltet Tonwerk) im Sinne der europäisch-abendländischen Musik versteht man ein von einem Komponisten ausgearbeitetes Werk, das tonschriftlich fixiert ist und mit wiederholbaren klanglichen Ausführungen rechnen kann. In Abgrenzung dazu steht einerseits die mündliche Überlieferung oder Tradierung von Musikwerken, die als Gemeingut in der Zeit weitergereicht und entwickelt werden und nicht auf einen persönlichen Urheber rückführbar sind. Andererseits entsteht in der kreativen Praxis der Improvisation spontan Musik, die in der Regel nicht oder nur minimal schriftlich fixiert ist und nicht für wiederholbare Klangaufführungen vorgesehen ist. Auf eine dritte Abgrenzung zur Komposition verweist der Begriff der Interpretion, in der ein als Komposition vorliegendes Werk von und für eine Hörerschaft aufgeführt wird. Die Person, die kreativ eine Komposition schafft und erstellt, wird Komponist genannt. Der Vorgang dieser Erstellung heißt Komponieren. Das Komponieren ist ein spezifisches „Denken in Tönen“. Es setzt sich als solches einerseits mit der Musiktheorie auseinander und wird andererseits selbst Reflexionsgegenstand von spezifischen Musik- und Kompositionstheorien.[1][2]
Komposition konkret
Im mittelalterlichen Musikschrifttum (Guido von Arezzo) stand gegen den kreativ-schöpferischen Begriff der Komposition ein ursprünglicherer Begriff von Komponieren. Komponieren bedeutete „com-ponere“, fast handwerkliches „Zusammen-setzen“ und „Zusammen-stellen“ von Ton- oder Musikfragmenten. Ein vorliegender Cantus firmus wurde von einem Komponisten, im Deutschen auch Tonsetzer genannt, mit anderen Stimmen zusammengesetzt oder zusammengefügt. Sehr langsam entwickelte sich aus diesem mittelalterlichen Begriff der heutige Kompositionsbegriff als einer „ars inveniendi“, einer grundlegend kreativen Kunst des Findens und Erfindens von Musik. Noch bei Johann Sebastian Bach (1685–1750) spielte der beschriebene ursprüngliche Sinn des Zusammensetzens und Zusammenstellens von Ton- und Musikfragmenten in der Variation eine herausragende Rolle. Bach verarbeitete in Variationen zahlreiche Choräle und Melodien anderer Komponisten und Tonsetzer.[3]
Ab dem Spätbarock trat zunehmend das Verständnis eines Musikwerkes oder einer Komposition als genialer Einfall eines Tonschöpfers in den Vordergrund, der diesem gewissermaßen geschenkt wurde. Hans Pfitzner (1869–1949) vertrat als einer der letzten Komponisten klar und deutlich diesen Standpunkt. Um ihn zu bekräftigen, schrieb er seine musikalische Legende Palestrina, die das Tonschaffen als genialen Einfall in den Mittelpunkt stellte. Er sah dabei darüber hinweg, dass vor allen Dingen sein Tonschaffen und das von gleichgesinnten Komponisten beschrieben wurde. Eigentlich war es nur in geglückten Sonderfällen Komponisten wie beispielsweise Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Franz Schubert (1797–1828) oder Max Reger (1873–1916) gegeben, Werke vollkommen aus sich heraus zu schaffen. Diese Komponisten trugen gewissermaßen Werke in sich, ehe sie dann diese aufzeichneten. Arnold Schönberg (1874–1951) soll auf diese Weise auf einzelnen Spaziergängen um die 80 Takte Musik geschaffen und anschließend in einem Zug niedergeschrieben haben. Hugo Wolf (1860–1903) wurde bei seinen Liedern in der Entstehung förmlich von Schaffensschüben überrannt.[3]
Ludwig van Beethoven (1770–1827), Johannes Brahms (1833–1897) und Anton Bruckner (1824–1896) komponierten auf andere Weise. Bereits ihre Themen fielen ihnen zu unterschiedlichen, zum Teil weit auseinanderliegenden Zeiten ein. Zu einem Thema fügte sich oft erst nach Jahren weiteres musikalisches Material hinzu, so dass bis zu einem fertigen Werk lange Zeitstrecken gegangen wurden. Diese Art des Komponierens kann durchaus als „Zusammen-setzen“ oder „Zusammen-stellen“ charakterisiert werden. Igor Strawinsky (1882–1971) beschrieb diese Art des Komponierens als die Lust des Aneinanderfügens und des Zusammenfügens von einem eigentlich nicht allzu wesentlichen Material.[3]
Mehreren Komponisten wird das Scherzwort nachgesagt, Komponieren sei zu 10 Prozent Inspiration und zu 90 Prozent Transpiration.[3]
Komposition formal
In der Zeit zwischen Spätbarock und Frühklassik (Mannheimer Schule, Erste Wiener Schule) wurde die oben bei Bach beschriebene Kompositionspraxis zu einer wesenhaft instrumentalmusikalischen Kompositionstheorie weiterentwickelt, die in der Klassik schließlich zur Norm wurde. Diese Norm zeichnete sich durch eine klare Kadenz- und Funktionsharmonik, durch liedhaftes Singen der Melodie und durch eine ausgeprägte Takt- und Taktgruppenmetrik aus. Diese Stilmittel werden in Form von Satzgliedern (Taktgruppen, Perioden) integriert, die nach dem Prinzip des Aufstellens und Beantwortens von Fragen angeordnet werden. Das beschriebene Vorgehen wird idealtypisch in der Sonatensatzform realisiert. Johann Mattheson (1681–1764) sprach hier in Anlehnung an die Rhetorik von „musikalischer Klangrede“. In diesem Prozess bildeten sich die klassischen Lehrgebiete der Kompositionslehre heraus: Harmonielehre, Kontrapunkt sowie Formen- und Instrumentationslehre. Diese Entwicklung fasste Hugo Riemann (1849–1919) abschließend in seiner „Großen Kompositionslehre“ (1902–1913) zusammen.[1]
Im 20. Jahrhundert wurde dieses „Kompositionsystem des Geltenden“ metrisch, harmonisch und melodisch gesprengt. Der herausgebildete Dualismus von Form und Inhalt wurde zunehmend aufgehoben. Musik wurde in der Neuen Musik, in Atonalität und Expressionismus absolut (Zweite Wiener Schule). Das in Kompositionen verarbeitete Material (Arnold Schönberg, Alban Berg (1885–1935), Anton Webern (1883–1945)) tendiert nach Unbegrenztheit und entzieht sich kompositorischen Regeln. Der Komponist wie die Zuhörer sind grundsätzlich auf ihren Instinkt angewiesen (Béla Bartók (1881–1945)). „Wer wagt hier Theorie zu fordern?“ (Arnold Schönberg im Schlusssatz seiner Harmonielehre von 1911). Die Auffassung des 20. Jahrhunderts von Komposition führte in den Verlust des Allgemeingültigkeitsanspruches von Kompositionslehren und hin auf eine Fokussierung zu Techniken wie der Zwölftontechnik. Entsprechend wurden im 20. Jahrhundert auch keine umfassenden Lehrwerke zur Komposition mehr geschrieben. In einigen Bereichen der Neuen Musik wurde das „Ausdenken“ von Musik wesentlicher als das „Ausführen und Zuhören“. In anderen Bereichen suchte man eine „Neue Einfachheit“ mit neuen Bekenntnissen, nach innen meditativ nach außen politisch engagiert. Darüber hinaus suchte man die konventionelle Konzertsituation in Konzepten wie der Raumkomposition oder der Klanginstallation zu überwinden. Dazu traten Musikkonzepte wie Minimal Music. Weltmusik öffnete zum Schluss den Kompositionsraum für musikalisches Material außereuropäischer Herkunft. Diese Entwicklungen lassen nun die Wahrnehmung des Hörers gegenüber dem musikalischen Werk selbst grundlegend bedeutender erscheinen. „Die Dialektik von musikalischem Fortschritt und normativ-reglementierender Kompositionslehre wurde abgelöst von Tendenzen der [musikalischen] Globalisierung […].“[1]
Literatur
- 1997: Komponieren für Film und Fernsehen: Ein Handbuch, Enjott Schneider, 304 Seiten, Schott Music, ISBN 978-3795787080
- 2008: Kompositionsgeschichte in kommentierten Beispielen, Clemens Kühn, 373 Seiten, Bärenreiter Verlag, Auflage 2013, ISBN 978-3761811580
- 2010: Filmmusik in der Praxis: Komponieren - Produzieren - Verkaufen, Philipp E Kümpel, 320 Seiten, PPVMEDIEN, 3. Auflage, ISBN 978-3941531291
- 2012: Notationskunde: Schrift und Komposition 900–1900, Manfred Hermann Schmid, 298 Seiten, Bärenreiter Verlag, Auflage 2012, ISBN 978-3761822364
- 2013: Komponieren für Dummies, Scott Jarrett, 304 Seiten, Wiley-VCH Verlag, ISBN 978-3527709793
- 2016: Praktiken des Komponierens: Soziologische, wissenstheoretische und musikwissenschaftliche Perspektiven, Tasos Zembylas und Martin Niederauer, 196 Seiten, Springer VS, Auflage 2016, ISBN 978-3658135072
Weblinks
Quellen
- Komponieren. In: Friedrich Herzfeld: Ullstein Lexikon der Musik. Mit 4500 Stichwörtern, 600 Notenbeispielen, 1000 Abbildungen und 32 Tafelseiten. 6. Auflage 1973. Frankfurt am Main, Berlin , Wien 1973. Ullstein Verlag. Seite 290 f.
- Hans Heinrich Eggebrecht, Gilbert Stöck: Komposition. In: Wolfgang Ruf, Annette van Dyck-Hemming (Herausgeber): Riemann Musiklexikon. 13. aktualisierte Neuauflage. Mainz 2012. Band 3. Seite 88 ff.
- Komposition. i.S. der Musik: In: Brockhaus Enzyklopädie. Neunzehnte völlig neu bearbeitete Auflage. Band 12. Mannheim 1990. Seite 237.
- Einzelnachweise